»Den Menschen ein Zuhause geben«

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Livenet, 06.04.2018

»Den Menschen ein Zuhause geben«

Offnigs Huus
Seit mehr als zehn Jahren teilen Christian und Florida Zimmermann ihr Haus in der Nähe von Bern mit Menschen, die aus schwierigen Verhältnissen kommen. Dabei erleben die Mitbewohner immer wieder Durchbrüche und Aufbau in ihrer jeweiligen Situation. Livenet unterhielt sich mit Florida Zimmermann.

Zoom
Florida und Christian Zimmermann

 

Livenet: Florida Zimmermann, was für Menschen kommen zu Ihnen?
Florida Zimmermann:
«Offnigs Huus» widerspiegelt unsere Lebensvision. Seit bald zwölf Jahren öffnen wir unsere Haus-, Familien- und Herzenstür für Menschen, die sich ein Zuhause und ein beziehungsorientiertes Familienleben wünschen; Menschen, die oftmals unauffällig sind und deren Ängste und Nöte nicht offensichtlich erkennbar sind. Uns spielt es keine Rolle, was sie bis jetzt schon alles getan haben, welche Diagnose sie haben, wie alt sie sind oder welcher Religion sie angehören. Jeder ist willkommen, der den Mut hat, in seinem Leben aufzuräumen und an sich zu arbeiten.

Wie ist es, als Familie in dieser Form zu wohnen?
Wir sehen uns als eine grosse Familie und nicht als Kern- oder Kleinfamilie innerhalb des «Offnigs Huus». Die grossen Altersdifferenzen der einzelnen Familienmitglieder führen jedoch oft dazu, dass wir auch mal zu dritt verreisen oder etwas unternehmen. Natürlich müssen wir uns auch bewusst diese Zeit für unsere leibliche Tochter Leilani herausnehmen, da sie sonst mit ihren acht Jahren schnell mal in der grossen «Menge» untergehen würde. Aber es ist uns wichtig, für jeden Einzelnen die Zeit aufzubringen, die er braucht, um nicht seinerseits unterzugehen. Da wir mehrere Generationen sind und immer wieder mal «Ehemalige» für kürzere oder längere Zeit vorbeischauen und auch neue Zuzügler hinzukommen, braucht es viel Weisheit, Planung und Struktur, dem Ganzen das Gefühl einer wahren Familie zu geben. Wir führen uns alle immer wieder vor Augen, dass wir eben eine etwas andere Familie sind. Es ist für alle in Ordnung, dass wir nicht der Norm entsprechen – das nimmt viel Druck weg.

Was berührt Sie bei Ihrer Arbeit?
Es ist ein riesiges Privileg, miterleben zu dürfen, wie Menschen beginnen, authentisch zu leben, indem sie sich verändern und sich mit ihrer Vergangenheit versöhnen. Es passieren Wunder und wir stehen mittendrin! So oft erkennen zu dürfen, dass bei Gott nichts unmöglich ist, ist einfach unschlagbar.

Es berührt uns auch, wenn wir erkennen, wie wenig Zuwendung Menschen brauchen, um sich Zuhause zu fühlen. Wir sind Menschen, wie alle anderen auch: wir machen Fehler, sind manchmal unfair, gereizt und überfordert. «Unsere Schützlinge» wissen aber, dass wir sie lieben, unser Bestes geben und nur mit guten Absichten handeln… und dieses Wenige reicht oft, um als Eltern und als ein Zuhause angesehen zu werden. Das berührt uns und macht zugleich auch traurig…

Können Sie ein paar konkrete Beispiele erzählen, wie Menschen bei Ihnen verändert wurden?
Wir erleben sehr viele schöne und berührende Wendungen, leider aber auch tragische «Abgänge», die immer mit einer Leere in unseren Herzen verbunden sind.

Eine der schönsten Geschichten ist diejenige unserer ältesten «Tochter»: Mit etwa 18 Jahren zog sie bei uns ein. Wir wussten nicht, was sie alles mit sich trug, aber wir erkannten, dass sie verzweifelt auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit war. Mit der Zeit kamen immer mehr tragische Einzelheiten ihres jahrelangen sexuellen und körperlichen Missbrauchs zum Vorschein. Zusammen kämpften wir uns durch diese Erlebnisse. Es war eine Geschichte, an der ich wahrscheinlich zerbrochen wäre, hätte ich nicht bei Jesus alles Gehörte deponieren können. Vor meinem inneren Auge erkannte ich diese junge Frau als den Menschen, der sie eines Tages sein könnte… frei, glücklich und voll Lebensfreude. Das macht Mut! Es war ein langer Weg… es gab viel aufzuräumen und zu verarbeiten. Ihre Überlebensmuster, welche sie sich verständlicherweise angeeignet hatte, ging sie radikal an. Als sie zu uns kam, war sie ein unauffälliges junges Mädchen mit einem leeren Blick. Nach dieser herausfordernden Zeit, in der sie enorm viel aufarbeiten und auch viel Kritik ertragen musste, durfte sie sich als geliebtes Kind ihres Schöpfers in einem völlig neuen Bild wiedererkennen. Nun steht sie selbstsicher mitten im Leben, ist glücklich verheiratet, werdende Mutter und für uns eine wertvolle Tochter und Freundin. Sie ist nicht mehr aus unserer Familie wegzudenken.

Wann ist für Sie ein Tag im «Offnigs Huus» gelungen?
Wenn am Esstisch mehr Stühle besetzt sind als erwartet. Wenn durch Gespräche, welche oft lang, intensiv und herausfordernd sind, etwas erkannt wird, dass uns im Heilungs- und/oder Entwicklungsprozess weiterbringt. Dies gilt sowohl für die Jugendlichen als auch für uns selbst. Selbstreflexion macht’s möglich.

Wenn ich mein ganzes Tagesprogramm über Bord werfen muss beziehungsweise darf, weil Menschen unerwartet vorbeischauen. Wenn wir als ganze Familie Zeit miteinander verbringen; beim Spielen, Spazieren, Projekt Durchführen, Fernsehen und so weiter.

Was sind die Herausforderungen?
Nach all den Jahren nicht abzustumpfen. Sich nicht von Vertrauensbruch und Verurteilungen anderer prägen zu lassen. Dass wir unseren Egoismus mehr und mehr ablegen und diesen nicht durch unseren «aufopfernden» Lebensstil rechtfertigen.

Was macht Ihnen besonders Freude?
Dass uns unser Lebensstil zu 100 Prozent von Gott abhängig macht… sei es emotional bei Kritik und Vertrauensmissbrauch oder existenziell bei Geldsorgen. Das finden wir toll!

Zur Webseite:
Offnigs Huus

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