Der Segen der Ungewissheit

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Der Segen der Ungewissheit

03.06.2016

Echte Stärke im Glauben
Den Sicheren gehört die Welt. Wer heute schon weiss, wer morgen Fussballmeister wird, wie man sich in jeder Situation verhalten muss oder was man von Gott wissen kann, der strahlt eine natürliche Autorität aus. Selbst wenn er sein «sicheres» Wissen irgendwann revidieren muss. Doch auch wenn Sicherheit attraktiv wirkt, Ungewissheit steht unter Gottes besonderem Segen.

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«Ich weiss es nicht.» Es ist seltsam: Je unübersichtlicher unsere Gesellschaft wird, je komplexer die Probleme erscheinen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen und je unzulänglicher unsere Lösungsansätze sind, desto normaler sollte diese Antwort sein. Doch das ist sie keinesfalls. Immer noch gilt «Ich weiss es nicht» als Eingeständnis von Schwäche und Inkompetenz statt von Ehrlichkeit. Und die Sehnsucht nach einfachen Lösungen nimmt zu. Das unterstreichen die politischen Verschiebungen in Europa und den USA eindrücklich. «Ich weiss es nicht.» Das gilt auch im christlichen Glauben meistens nicht als Zeichen des Glaubens. Dabei kann es durchaus ein Indiz für tiefen, gesunden Glauben sein. Und gleichzeitig eine Voraussetzung für Gottes Segen.

Selbst wenn Gott es nicht will …

Die Bibel berichtet im Buch Daniel von Daniels drei Freunden. Diese weigern sich, vor dem babylonischen König bzw. seinen Göttern niederzufallen, und sollen dafür ins Feuer geworfen werden. Ihre Verteidigungsrede ist sehr interessant: «Wenn unser Gott, den wir verehren, will, so kann er uns erretten; aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er’s nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten wollen.» (Daniel, Kapitel 3, Verse 17-18)

In der Fortsetzung rettet Gott die drei Freunde Schadrach, Meschach und Abed-Nego tatsächlich auf übernatürliche Weise, doch der Punkt ist, dass sich die drei Freunde dessen nicht sicher waren, nicht sicher sein mussten, um an Gott festzuhalten. Das Spannende am Glauben ist nämlich, dass er tatsächlich Glaube bleibt. So wie die drei Freunde von Daniel haben auch wir Christen heute nichts «in der Hand», haben keine Sicherheit, wie Gott im Einzelfall handeln wird. Diese Ungewissheit lässt sich hinter scheinbar starken Aussagen verstecken: «Der Herr hat mir gezeigt…» Sie kann aber auch in wirklich starke Aussagen münden: «Ich weiss nicht, was Gott vorhat, aber ich vertraue ihm trotzdem.»

Natürlich könnte Gott ein für allemal Klarheit schaffen. Er könnte sich der gesamten Welt offenbaren und alle Zweifel und Ungewissheiten damit einfach vom Tisch wischen. Doch das tut er nicht, das hat er noch nie getan. Er wirbt vielmehr um den Glauben seiner Menschen, bittet sie um Vertrauen gegen den Augenschein. Und er segnet dieses unsichere Vertrauen.

Echte Weisheit

An vielen Stellen zeigt die Bibel, dass echte Weisheit ihre Wurzeln in der Ehrfurcht vor Gottes Grösse hat. Dabei meint Ehrfurcht nicht Angst vor einem unberechenbaren Gott, im Gegenteil, es geht darum, Gott als weise, heilig und mächtig anzuerkennen. Und unsere eigenen Begrenzungen wahrzunehmen. Der Prophet Jesaja drückt es so aus: «Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.» (Jesaja, Kapitel 55, Verse 8-9)

Auch wenn es zunächst unbequem ist: Gott hält sich die Möglichkeit offen, anders zu denken und zu handeln, als wir es tun würden. Sein Ziel dabei ist allerdings nicht Willkür, sondern eine Weisheit, die höher ist als unsere. Selbst, wenn sie manchmal dumm wirkt: «Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache…» (1. Korinther, Kapitel 1, Vers 27)

Genau hier wird die Schwierigkeit deutlich, wenn wir Weisheit mit Gewissheit oder Sicherheit gleichsetzen. Dann bleibt kein Raum für einen Gott, der unerwartet handelt. Kein Raum für einen Gott, der zeigt, dass er noch grösser ist, als wir schon dachten. Dieser Segen steckt in der Ungewissheit, nicht alles von Gott zu wissen.

Wo warst du?

In Hiob begegnen wir einem Menschen, der Gott vertraut. Einem Menschen, der fromm lebt und den Gott segnet. Doch dann kommt der Tag, an dem Hiob aus heiterem Himmel alles verliert: Besitz, Familie, Ehre, Gesundheit. Zornig und gläubig, unsicher und doch voll Vertrauen auf Gott fordert Hiob eine Erklärung. Und Gott? Gott antwortet, doch ganz anders, als Hiob denkt: «Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich! Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist!» (Hiob, Kapitel 38, Verse 3-4)

Gott rechtfertigt sich nicht vor Hiob. Er zeigt einfach, dass er Gott ist. Dass Hiob von Beginn der Schöpfung bis hin zu vielen seltsamen Details darin nicht wirklich begreift, was Gott tut und warum. Gleichzeitig nimmt er Hiob aber heraus aus den anklagenden Gedanken seiner Freunde – «Irgendetwas wirst du schon angestellt haben, dass Gott dich so bestraft…» – und ohne weitere Erklärung ist er getröstet. Weiss er jetzt mehr? Hat er seine Ungewissheit verloren? Nein, aber er hat einen Blick in Gottes Herz geworfen, und das ist ihm genug!

Gesegnete Ungewissheit

Sicherheit ist nichts Schlechtes. Aber Ungewissheit auch nicht. Gefährlich wird es für uns als Christen, wenn wir uns mancher Dinge sicher sind, deren man sich nicht sicher sein kann. Wenn wir damit unsere Weisheit mit Gottes Weisheit gleichsetzen. Wenn wir unser Staunen vor Gott durch Gewissheit ersetzen. Beim Glauben geht es nicht darum, «richtige» Antworten zu haben. So wird unsere ehrliche Antwort auf viele Fragen immer wieder heissen: «Ich weiss es nicht.» Oft können wir dann ergänzen: «Aber ich vertraue dem, der den Überblick hat.» Solch eine Ungewissheit lässt uns Menschen und Gott Gott bleiben – welch ein Segen.

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