„Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen“
Apostelgeschichte 5,29 (NGÜ[1])
Diese grundsätzliche Haltung haben die Apostel Jesu gegenüber dem höchsten jüdischen Gericht, dem Sanhedrin (Synedrium), eingenommen. Wie kam es zu diesem Statement? Der Hohepriester, der für das jüdische Gericht sprach, redete den Aposteln ins Gewissen:
„Haben wir euch nicht strengstens verboten, jemals wieder unter Berufung auf diesen Namen zu lehren?“, sagte er. „Und was macht ihr? Ganz Jerusalem ist inzwischen von eurer Lehre erfüllt! Ihr wollt uns wohl für den Tod dieses Menschen verantwortlich machen“ (Apostelgeschichte 5,28)?
Bei „diesem Namen“ ging es um den Namen Jesu Christi. Die jüdische Obrigkeit wollte verhindern, dass der Name und die Lehre Jesu Christi weiter verbreitet werden würde. Angefangen hatte die Konfrontation bereits einige Zeit vorher. Im 4. Kapitel der Apostelgeschichte wird darüber berichtet, dass die Apostel Petrus und Johannes die Auferstehung Jesu öffentlich bezeugten. Daraufhin ließen die religiösen Häupter der Juden die beiden festnehmen und sperrten sie über Nacht ins Gefängnis (4,1-3). Am nächsten Tag fand eine Vollversammlung aller für die jüdische Religion Verantwortlichen in Jerusalem statt, anlässlich der die beiden Apostel verhört wurden. Während dieses Verhörs erklärten Petrus und Johannes:
„Jesus Christus ist »der Stein, den ihr, die Bauleute, voller Verachtung beiseite geschoben habt und der zum Eckstein geworden ist«. Bei niemand anderem ist Rettung zu finden; unter dem ganzen Himmel ist uns Menschen kein anderer Name gegeben, durch den wir gerettet werden können“ (4,11. 12).
Die Mitglieder des Hohen Rates waren zwar beeindruckt von der Entschlossenheit, mit der die beiden Apostel auftraten, sahen aber gleichzeitig ihre Autorität gegenüber dem Volk bedroht. Das Verhör endete damit, dass den Aposteln mit allem Nachdruck untersagt wurde, „jemals wieder öffentlich über Jesus zu sprechen oder unter Berufung auf seinen Namen als Lehrer aufzutreten“ (4:18).
Wie reagierten die beiden auf diese Drohung?
„Urteilt selbst, ob es vor Gott recht ist, euch mehr zu gehorchen als ihm! Uns ist es auf jeden Fall unmöglich, nicht von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (4,19. 20).
In der Kraft des heiligen Geistes handelten die Apostel auch entsprechend. Daher war es unvermeidbar, dass sie erneut verhaftet wurden wie das der Bericht in Apostelgeschichte Kapitel 5 bestätigt. Bei dieser Gelegenheit äußerten die Apostel die Worte, die das Thema dieses Artikels bilden. Nur der Intervention des Gesetzeslehrers Gamaliel war es zu verdanken, dass sie nicht hingerichtet wurden. Allerdings wurden sie ausgepeitscht und es wurde ihnen erneut verboten, „unter Berufung auf den Namen Jesu in der Öffentlichkeit zu reden“.
Wozu der Rückblick?
Warum wird an diese alte Geschichte immer wieder erinnert? Weil es ein trauriges Merkmal der Geschichte des Christentums ist, dass Christen genau das Gleiche immer und immer wieder widerfuhr. Anfang des 15. Jahrhunderts wurde beispielsweise Jan Hus von der damaligen geistlichen Obrigkeit der Prozess gemacht, weil er sich weigerte, einem Verbot seines Erzbischofs zu gehorchen. Wie die Apostel im 1. Jahrhundert sagte er, dass er „in Dingen, die zur Rettung notwendig sind, Gott mehr gehorchen muss als Menschen“. Später erklärte er: „Jeder treue Christ sollte so gesinnt sein, dass er für nichts eintritt, was der Heiligen Schrift entgegensteht“ und: „Es ist immer mein Wunsch gewesen, anhand der Schrift eines Besseren belehrt zu werden, und dann wäre ich auch auf jeden Fall bereit zu widerrufen.“
Der Ausgang seines Falls entsprach dem der Apostel; allerdings musste Hus mit seinem Leben bezahlen. Am 6. Juli 1415 wurde er formell im Konstanzer Münster verurteilt. Vor dem Münster verbrannte man seine Schriften. Anschließend wurde er vor der Stadt auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Anklagen wie die gegen Jan Hus wurden von religiös extrem eingestellten Personen und Institutionen immer wieder erhoben und das vermeintliche Unrecht geahndet[2]. Auch in der Neuzeit gibt es entsprechende Fälle, wenn sie für die Betroffenen auch nicht so existentiell vernichtend endeten wie in den angesprochenen Fällen[3].
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen den Ursachen für die Verfolgung der Apostel gemäß dem Bericht der Apostelgeschichte und der Verfolgung, der Christen seit den Jahrhunderten danach ausgesetzt waren. Die Ankläger gegen die Apostel waren führende Juden, die nicht anerkennen wollten, dass Jesus der verheißene Messias oder Christus war. Sie wollten an ihrer althergebrachten Religion festhalten. Bei den Verfolgern in späteren Zeiten handelte es sich in vielen Fällen jedoch um Menschen oder Institutionen, die sich – zumindest nominell – selbst als Christen bezeichneten und sahen. Wie war und ist so etwas möglich?
Die „Wahrheit“
Für Jesus Christus und auch für seine Nachfolger – Christen – spielt die „Wahrheit“ in der Lehre eine wichtige Rolle; zumindest sollte sie es. Nachstehend einige Bibelworte, die das stützen:
Jesus erwiderte: „Gott ist Geist, und die, die ihn anbeten wollen, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Johannes 4,24).
„ ‚Ich bin der Weg‘, antwortete Jesus, ‚ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich‘“ (Johannes 14,6).
„Jesus erwiderte: „… Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeuge zu sein; dazu bin ich geboren. Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme“ (Johannes 18,37).
Diese drei Aussagen stammen von Jesus Christus selbst. Es ist unzweifelhaft, dass wir aus den Lehren Jesu die Wahrheit direkt entnehmen können. Das darf aber auch von den übrigen christlichen Schriften – zum großen Teil den inspirierten Briefen – erwartet werden. Jesus kündigte nämlich an:
„Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen“ (Johannes 16,13).
Und der Apostel Paulus schrieb über die „Wahrheit“:
„… Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist“ (Epheser 5,8.9).
Wenn es somit möglich ist, aus den Evangelien und den übrigen inspirierten Schriften die Wahrheit zu erkennen, aus welchem Grund gibt es dann so viele sich widersprechende Auffassungen darüber, was die christliche Wahrheit ist?
Warum unterschiedliche Auffassungen über die „Wahrheit“?
Zugegebenermaßen sind sowohl unter den Worten des Herrn Jesus als auch in den inspirierten Schriften, die später zur Erläuterung der christlichen Lehre geschrieben wurden, einzelne Passagen, die gleichnishaft oder symbolisch gemeint waren. Dass es unter diesen etliche gibt, die von verschiedenen Lesern unterschiedlich aufgefasst oder interpretiert werden, ist unvermeidlich. Zwar ist es nötig, diese Passagen im Licht anderer Aussagen der Bibel zu sehen; restlos alle Unterschiede in der Interpretation können dadurch jedoch nicht geklärt werden.
Das muss jedoch nicht zu Spaltungen führen. Man sollte einzelne Interpretationen nie dogmatisch darstellen oder dogmatisch verteidigen. Wie oft schon haben Ausleger der Bibel im Laufe der Zeit ihre Auffassung geändert und neue Standpunkte vertreten – Standpunkte, die andere bereits vor ihnen einnahmen.
Es gibt aber viel mehr Aussagen Jesu und der inspirierten christlichen Schreiber, die gar nicht ausgelegt werden müssen. Aussagen die direkt und klar sind. Wie steht es mit diesen eindeutigen Aussagen? Es dürfte wohl keine Frage sein, dass sie die Grundlage der christlichen Wahrheit bilden, insbesondere, wenn es sich um direkte Worte des Herrn Jesus Christus handelt, der „die Wahrheit“ ist (Johannes 14,6).
Leider gehen aber auch bezüglich dieser nicht auszulegenden Wahrheiten die Meinungen auseinander. In solchen Fällen entsteht die Frage: Sind die Beteiligten bereit, die Bibel – das „Wort der Wahrheit“ – als Maßstab zu akzeptieren und anzuwenden (2. Timotheus 2,15, NeÜ[4]; 3,16)?
Jan Hus und andere belegten ihre Standpunkte mit der Bibel und forderten ihre Ankläger auf, ihnen mithilfe der Bibel zu zeigen, dass sie nicht biblisch und damit unchristlich, also nicht der Wahrheit entsprechend lehrten. Für die Ankläger spielte in solchen Fällen leider oft nicht die Erkenntnis der Wahrheit die entscheidende Rolle, sondern andere Dinge: Macht, Einfluss, Geld, Traditionen. Natürlich sind all das keine „christlichen“ Faktoren. Das Traurige jedoch ist, dass dieser Missbrauch von Macht die Betreffenden nicht daran gehindert hat, ihren Standpunkt dennoch als christlich und biblisch zu deklarieren.
Ein neuzeitlicher „Fall“
Ein typisches Beispiel dafür, wie sich so etwas heute abspielen kann, soll nachfolgend anhand eines Falls veranschaulicht werden, der tatsächlich stattgefunden hat. Es handelt sich um die E-Mail-Korrespondenz zwischen zwei Personen, die sich beide als Christen bezeichnen und der gleichen Kirche angehören. Der Schriftwechsel ist anonymisiert (geänderte Namen) und der tatsächliche Wortlaut zusammengefasst. Die jeweils gemachten Aussagen bleiben sinngemäß erhalten. Bezeichnungen von Ämtern und Institutionen sind geändert, um nicht eine bestimmte religiöse Gruppe herauszustellen.
Der Hintergrund
Ein Christ (genannt Markus) hat ein bestimmtes Thema der christlichen Lehre, das ihn interessiert, gründlich untersucht und seine Studienergebnisse schriftlich niedergelegt. Es handelt sich um ein Thema, das den Gründer des Christentums betrifft: Jesus Christus. Das konkret untersuchte Thema ist nicht ausschlaggebend. Je nach Ausrichtung einer Glaubensgemeinschaft (Kirche) könnte es die Dreieinigkeitslehre betreffen, die Bedeutung Jesu Christi im Evangelium oder was Jesus Christus gemäß dem Neuen Testament ist (Gott, Gottes Sohn, der Erzengel Michael, ein Engel oder Kombinationen davon). Seine Studie hat er ausschließlich auf die Bibel gegründet und seine Feststellungen mit dem verglichen, was seine Kirche offiziell lehrt.
Es hat ihn beunruhigt, Unterschiede festzustellen zwischen dem, was das Neue Testament lehrt, und der offiziellen Lehre seiner Kirche. Da für ihn sein Glaube keine Nebensache ist, hat er sich entschlossen, seine Studie an die Oberste Kirchenleitung seiner Kirche zu schicken mit der Bitte, sich zu den festgestellten „Abweichungen“ zu äußern. In dem Anschreiben hat er betont, dass er nicht die Absicht hat, seine Kirche zu kritisieren. Er wollte lediglich eine Stellungnahme zu einer Reihe von Fragen, die er übermittelt hat.
Nach mehrmaligem Nachfragen, ob er denn mit einer Antwort rechnen könne, erhält er von der Regionalen Kirchenverwaltung Post. Sie wurde von der Obersten Kirchenleitung beauftragt, in ihrem Namen Stellung zu nehmen. Inhaltlich wird auf die Studie und die gestellten Fragen nicht eingegangen. Allerdings wird Markus mitgeteilt, dass alles „in Ordnung“ sei. Er dürfe darauf vertrauen, dass die Oberste Kirchenleitung alles richtig und in Übereinstimmung mit der Lehre Christi und dem Neuen Testament handhabe. Weitere Nachfragen seitens Markus führen zu keinem anderen Ergebnis. Daher lässt Markus die Angelegenheit im Verhältnis zu seiner Kirche ruhen, beschließt aber, sich selbst nach den Erkenntnissen auszurichten, die er erlangt hat.
Wenige Jahre später wendet sich einer seiner Glaubensbrüder (Andreas), der lange von der Studie wusste, an ihn und möchte Näheres wissen. Es findet ein ausführliches Gespräch zwischen Markus und Andreas statt, das dem Anschein nach einvernehmlich verläuft. Wenige Tage später wird nachstehende Korrespondenz geführt, die mit einer Mail von Andreas beginnt. Im Laufe des Schriftwechsels wird die Frage, ob man Gott mehr gehorchen sollte als Menschen, immer deutlicher in den Fokus gerückt.
[Wer den „Schriftwechsel“ überspringen möchte – weil vielleicht bereits gelesen –, kann bei „Schlussfolgerungen“ weiterlesen.]
Der Schriftwechsel
Andreas an Markus:
Hallo Markus,
danke dass du dir die Zeit genommen hast, deinen Standpunkt zu erklären.
Ich habe deine Abhandlung an die Oberste Kirchenleitung gelesen. Auf mich wirkt die Menge des zusammengestellten Stoffs abschreckend.
Ich verstehe es so, dass du am liebsten bereits heute alles vollkommen richtig machen möchtest. Aber wie du sicher einsiehst, wird das keinem sündigen Menschen gelingen. Ich denke, Gott und sein Sohn schätzen die aufrichtigen Bemühungen ihrer Diener dennoch.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum du meinst, dass in unserer Kirche das Verhältnis zwischen Gott, dem Vater, und seinem Sohn nicht in rechter Weise gewürdigt wird. Allerdings konntest du mit deinem Schreiben die Kirchenleitung möglicherweise dazu anregen, über eine Änderung ihres Standpunkts nachzudenken.
Wenn Gott will, dass in unserer Kirche Defizite beseitigt werden, wird er das mit Sicherheit auch in die Wege leiten. Dafür gebraucht er aber sicher keine einzelnen Gläubigen, die umfangreiche wissenschaftliche Studien zusammenstellen, oder?
Vergiss nicht: Satan freut sich, wenn Gläubige mit unwichtigen Dingen beschäftigt werden, statt für Jesus Zeugnis abzulegen.
Ich hoffe, dass dein Vertrauen in die Kirchenleitung nicht geschwunden ist.
Dein Glaubensbruder
Andreas
Markus an Andreas:
Lieber Andreas,
ich gehe einfach auf Deine diversen Gedanken ein.
Du schreibst, dass der Umfang der Ausarbeitung auf Dich abschreckend wirkt. Da es um eine elementare Aussage der christlichen Lehre geht, sollte man, wenn man an der an der Wahrheit des Evangeliums interessiert ist, die einzelnen vorgebrachten Argumente schon untersuchen. Falls sie als unzutreffend eingeschätzt werden, sollte man begründen, weshalb. Die Kirchenleitung hebt immer wieder hervor, wie wichtig es ist, die wirkliche Aussage des Evangeliums zu erfassen.
An vielen Stellen meiner Ausarbeitung an die Oberste Kirchenleitung habe ich zum Ausdruck gebracht, dass es sich um Fragen handelt, die meinen persönlichen Glauben am Fundament berühren. Ich denke, ein Hirte, der an seinen Schäfchen interessiert ist, würde sich allein aus Sorge um den Betreffenden mit seinen Fragen auseinandersetzen.
Ich war damals bereits etwa 35 Jahre als Gemeindeältester pastoral tätig. Und ich denke, um ein Schaf, das auf diese Weise auf sich aufmerksam macht, sollte man sich schon kümmern. Das wurde allerdings nicht wirklich gemacht. Nicht auf eine einzige der vielen Fragen, die ich gestellt hatte, wurde eingegangen; weder vom Bischof noch von der Regionalen Kirchenverwaltung noch von der Obersten Kirchenleitung. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich in den 35 Jahren Pastoraltätigkeit die Bedürfnisse eines Schafes für so unwichtig gehalten habe.
Du schreibst: „Ich verstehe es so, dass du am liebsten bereits heute alles vollkommen richtig machen möchtest.“
Kein Mensch kann „alles vollkommen richtig machen“. Aber um sich zu den von mir aufgeworfenen Fragen zu äußern, ist keine Vollkommenheit nötig. Es geht um ganz einfache Aussagen des Neuen Testaments, die man nicht einmal auslegen muss. Die Aussagen sind klar verständlich und jeder religiöse Mensch, Bibelleser, Christ kann etwas damit anfangen. Er braucht nur seine Bibel zur Hand zu nehmen, die genannten Passagen zu lesen und sich ein Bild machen. Wenn er meint, die Bibel mache an anderen Stellen aber andere Aussagen, kann er es selbst nachprüfen. Die Bibel macht aber keine anderen Aussagen. Bei der Frage, welche Stellung Jesus Christus gemäß dem Willen seines Vaters hat, handelt es sich nicht um eine Nebensächlichkeit. Da das Christentum auf der Person Jesu Christi gründet, ist es wichtig, sich als jemand, der den Vater „im Geist und in der Wahrheit“ anbeten möchte (Joh 4:23, 24), auch ganz sicher zu sein. Und wenn er erkannt hat, welche Stellung Jesus Christus einnimmt, sollte er sein Leben auch danach ausrichten – in Wort und Tat (Mat 7:21-23).
„Aber wie du sicher einsiehst, wird das keinem sündigen Menschen gelingen. Ich denke, Gott und sein Sohn schätzen die aufrichtigen Bemühungen ihrer Diener dennoch.“
Wie schon gesagt, Vollkommenheit ist heute nicht möglich. Aber um diese einfachen, verständlichen Wahrheiten zu begreifen bedarf es keiner Vollkommenheit. Wenn unsere Bemühungen aufrichtig sind, werden wir die Aussagen der Bibel auch nachlesen und beachten.
Bitte verstehe mich richtig: Ich möchte niemanden, weder Dir noch sonst jemandem, eine bestimmte Sichtweise aufdrängen. Jeder von uns ist für sich vor unserem Schöpfer und seinem Richter, Jesus Christus, verantwortlich. Niemand von uns darf „Herr über den Glauben“ des anderen sein (2Kor 1:24). Was ich geschrieben habe, soll dazu anregen, den eigenen Glauben mit den Aussagen der Heiligen Schrift abzugleichen. Wenn jemand zu anderen Schlussfolgerungen kommt, ist das sein Recht und seine Verantwortung. Nur was mir sehr seltsam vorkommt, ist, wenn es Hirten völlig gleichgültig ist, was aus einem Schaf wird, das seine Glaubensbedenken in aller Aufrichtigkeit und Offenheit äußert. Statt auf die Bedenken einzugehen und zu helfen, werden in Wirklichkeit versteckte Drohungen ausgesprochen. (Ich hatte Dir sinngemäß geschrieben, was die Regionale Kirchenverwaltung in ihrem zweiten Brief in dieser Hinsicht schrieb.)
„Allerdings konntest du mit deinem Schreiben die Kirchenleitung möglicherweise dazu anregen, über eine Änderung ihres Standpunkts nachzudenken.“
Vielleicht. Aber wie schon beschrieben geht es nicht um eine geringfügige Kurskorrektur, sondern um eine Grundlehre der Bibel. Ich gehe davon aus, dass die Kirchenleitung selbst an der Wahrheit des Evangeliums interessiert ist. Erstaunlich finde ich es allerdings, wie auf die Anfragen reagiert wurde.
„Wenn Gott will, dass in unserer Kirche Defizite beseitigt werden, wird er das mit Sicherheit auch in die Wege leiten. Dafür gebraucht er aber sicher keine einzelnen Gläubigen, die umfangreiche wissenschaftliche Studien zusammenstellen, oder?“
Ich hatte es schon ein paar Mal erwähnt: Es hängt vom persönlichen Glauben des Einzelnen ab, wie er vor Gott da steht. Gott hat uns Menschen auch ein Hilfsmittel in die Hand gegeben, mittels dessen wir unseren Glauben prüfen können: Die Bibel, die uns lehrt, „die Wahrheit zu erkennen“ (2Tim 3:16, 17; NeÜ). Diesen Maßstab haben wir erhalten, damit wir uns nicht nur überprüfen können, sondern damit wir uns auch danach ausrichten. Wenn wir das tun, dürfen wir seinen Segen erwarten. Und wenn wir es nicht tun? Dann mischt er sich trotzdem nicht ein. Er respektiert unseren freien Willen genauso wie den von Adam und Eva, Abraham, Herodes, Petrus – ja auch von allen Engeln. Auch den freien Willen seines eigenen Sohnes achtet er. Und davon, wie wir unseren freien Willen gebrauchen, hängt ab, was aus uns wird. Ich will es noch einmal hervorheben: Was ich an die Oberste Kirchenleitung geschickt habe, ist keine „wissenschaftliche Untersuchung“, sondern es waren Hinweise auf klare Aussagen der heiligen Schrift, die nicht ausgelegt werden müssen. Wie Jesus sagte, würden sogar „Unmündige“, „Nicht-Intellektuelle“ in der Lage sein, das zu verstehen. Die vielen Hinweise auf unsere kirchliche Literatur, die Lieder, Predigten, Kirchentagungen usw. sind für den Glauben an das, was die Heilige Schrift lehrt, nicht notwendig. Aber in diesem Hinweis an die Oberste Kirchenleitung sind sie notwendig, weil die Abweichungen sonst nicht nachvollzogen werden können. Meine Fragen bezogen sich ganz konkret darauf, warum diese Dinge von dem abweichen, was die Bibel sagt.
„Vergiss nicht: Satan freut sich, wenn Gläubige mit unwichtigen Dingen beschäftigt werden, statt für Jesus Zeugnis abzulegen.“
Du schreibst richtig, dass das Zeugnisablegen für Jesus im Mittelpunkt stehen sollte (Apg 1:8; Off 12:17). Und genau das ist mein Anliegen. Die ganze Abhandlung dreht sich nur um die Person, die Stellung Jesu Christi und dient daher dem Zeugnisgeben für Jesus. Es handelt sich keineswegs um die Beschäftigung „mit unwichtigen Dingen“. Und ich denke nicht, dass Du damit sagen wolltest, dass ich Satan in die Hände spiele.
„Ich hoffe, dass dein Vertrauen in die Kirchenleitung nicht geschwunden ist.“
Lieber Andreas, was ich durch diese Ausarbeitung herausgefunden habe, hat meinen Glauben an unseren Schöpfer und seinen Sohn sowie mein Vertrauen in sie sehr bestärkt. Ich fühle mich glücklich. Und ich freue mich, viele Glaubensschwestern und –brüder zu haben (einschließlich Dir!), mit denen ich mich über glaubensstärkende Dinge so austauschen kann. Ich möchte sie nicht missen.
Was das „Vertrauen in die Kirchenleitung“ betrifft: Vertrauen fordert man nicht ein. Vertrauen entsteht, wenn man miteinander vertrauensvoll, ehrlich und aufrichtig umgeht. Wie sagte Jesus: „Doch die Weisheit erweist sich als richtig, und zwar durch das, was sie bewirkt“ (Mat 11,19, NL). Und daran hat sich nichts geändert.
Vielen Dank für Dein aufrichtiges Interesse. Ganz bestimmt segnen unser himmlischer Vater und auch sein Sohn solches von Herzen kommendes Bemühen.
Ich grüße Dich ganz herzlich und wünsche Dir den Geist unseres Vaters im Himmel.
Dein Glaubensbruder im Herrn
Markus
Andreas an Markus:
Lieber Markus,
danke für deine Antwort. Ehrlich gesagt fällt es mir sehr schwer, dir zu antworten.
Ich bin überzeugt, dass du mit guten Beweggründen an deine Studie gegangen bist. Allerdings scheinst du irgendwie das Gleichgewicht verloren zu haben. In unserem Gespräch hast du erwähnt, dass du misstrauisch geworden bist. Du weißt, wenn man beginnt, Misstrauen zu nähren, wird man zwangsläufig Misstrauen ernten.
Ich glaube, du hast dich total verrannt. Es ist doch sehr ausgewogen, wie die Kirchenleitung bezüglich der Stellung Jesu verfährt. Die Regionale Kirchenverwaltung hat dir doch ein Schreiben geschickt. Für mich wird darin sehr wohl auf deine Fragen eingegangen und auf einschlägige Literatur verwiesen. Dort findest du Antworten, die dich zum Nachdenken bringen sollten.
Du sagtest doch, dass dein Glaube und dein Vertrauen gestärkt wurden. Ich empfehle dir, geduldig auf Gott zu vertrauen. Er lenkt alles. Vielleicht wirst du doch noch Antworten auf deine Fragen erhalten. Ich gehe davon aus, dass die Kirchenleitung gute Gründe hat, warum sie so reagiert.
Was ich immer noch nicht verstanden habe: Vertraust du nun der Kirchenleitung noch oder nicht? Immerhin meinst du, sie würde mit dir nicht vertrauensvoll, ehrlich, aufrichtig umgehen. Und du erwähnst „versteckte Drohungen“. Das sind schwere Vorwürfe!
Dein Glaubensbruder
Andreas
Markus an Andreas:
Lieber Andreas,
ich schätze es sehr, dass Du Dich mit dieser Materie auseinandersetzt, obwohl Dir das offensichtlich ziemlich schwer fällt. Und ich gehe selbstverständlich davon aus, dass Du Dich offen, ehrlich und aufrichtig mit mir auseinandersetzt.
Ich schreibe einfach wieder etwas zu einzelnen Aussagen von Dir:
„Ich bin überzeugt, dass du mit guten Beweggründen an deine Studie gegangen bist. Allerdings scheinst du irgendwie das Gleichgewicht verloren zu haben. In unserem Gespräch hast du erwähnt, dass du misstrauisch geworden bist. Du weißt, wenn man beginnt, Misstrauen zu nähren, wird man zwangsläufig Misstrauen ernten.“
Welche Beweggründe ich hatte, habe ich nie verheimlicht. Dazu braucht man nur die ersten beiden Seiten meines Briefes an die Oberste Kirchenleitung zu lesen. Ich denke, man kann sie als „gut“ erkennen. Allerdings verstehe ich nicht, warum ich „das Gleichgewicht verloren“ haben soll. Du stimmst sicher zu, dass es nichts Ungebührliches ist, wenn man Fragen stellt und beschreibt, wodurch sie aufgekommen sind. Ich habe nicht gesagt, ich sei „misstrauisch“ geworden. Ich habe es Dir so erzählt, wie es bereits im 2. Absatz meines Briefes an die Kirchenleitung steht:
„Beim Lesen der Apostelgeschichte ist mir aufgefallen, dass in dem Bericht auffällig oft auf Jesus Christus Bezug genommen wird sowie auf die erhabene Stellung, die er von seinem Vater erhalten hat. In unserem Studienbuch wird Jesus Christus zwar ebenfalls sehr oft erwähnt, auf seine erhabene Stellung wird allerdings sehr verhalten hingewiesen. Daher war ich daran interessiert herauszufinden, ob außer in der Apostelgeschichte in den übrigen Büchern des Neuen Testaments diese besondere Stellung Jesu Christi genauso hervorgehoben wird. Das war der Gesichtspunkt, unter welchem ich das Neue Testament vollständig durchgelesen bzw. studiert habe.“
Das war kein Misstrauen, sondern ich habe eine Feststellung getroffen. In welcher Geisteshaltung ich das geschrieben habe, geht gleich aus den nächsten Sätzen hervor:
„Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich unterstreichen, dass das Ziel meiner Nachforschungen nicht war, an irgendwelchen kirchlichen Verfahrensweisen Kritik zu üben, sondern herauszufinden, was die Bibel zu diesem wichtigen Thema sagt.“
Wie Du all dem leicht entnehmen kannst, habe ich kein „Misstrauen gesät“; daher kann ich nicht erkennen, weshalb ich „zwangsläufig Misstrauen ernten“ müsste.
Vielleicht willst Du mir erklären, weshalb das Stellen von aufrichtigen Fragen (die mir sehr wichtig sind) Deiner Meinung nach Misstrauen nährt. (Ich gehe doch davon aus, dass Du Glaubensgeschwistern nicht misstrauisch begegnest, nur weil sie Dir Fragen stellen, die sie bewegen.)
„Ich glaube, du hast dich total verrannt.“
Ich kann nicht ganz folgen: Wieso „verrennt“ sich jemand „total“, wenn er Fragen stellt und nachhakt, wenn ihm keiner antworten will? (Stell Dir mal vor, was man von einem Schullehrer halten würde, der meint, seine Schüler hätten sich „total verrannt“, weil sie mehrfach Fragen stellen über etwas, was sie nicht verstehen. Würdest Du Dich einem Gemeindeältesten als Hirten anvertrauen, wenn er Deine Meinung als „total verrannt“ betrachten würde, nur weil Du ihm Fragen stellst?)
„Es ist doch sehr ausgewogen, wie die Kirchenleitung bezüglich der Stellung Jesu verfährt.“
Wie kommst Du zu dieser Schlussfolgerung? In meiner Studie lege ich doch im Einzelnen dar, dass die hohe Stellung Jesu Christi, die ihm sein Vater verliehen hat, eben nicht „ausgewogen“ dargestellt wird. Was ist denn der Maßstab, ob in der Lehre etwas „ausgewogen“ dargestellt wird: Unser Gefühl? Das, was andere sagen oder schreiben? Oder das, was in Gottes Wort steht (2Tim 3:16, 17)? Die Aussagen der Bibel sind eindeutig.
Hier ein Gedankenanstoß aus Galater 1:8, 9, ob Menschen das, was Gottes Wort lehrt, „modifizieren“ dürfen:
„Doch wer immer euch ein anderes Evangelium bringt – und wäre es einer von uns Aposteln oder sogar ein Engel vom Himmel –, wer immer euch eine Botschaft bringt, die dem Evangelium widerspricht, das wir euch verkündet haben, der sei verflucht! Wir haben euch das bereits früher gesagt, und ich sage es hiermit noch einmal: Wenn euch jemand ein Evangelium verkündet, das im Widerspruch zu dem Evangelium steht, das ihr angenommen habt, sei er verflucht!“
Das habe ich natürlich nicht in meiner Abhandlung angeführt. Aber das, was der Apostel Paulus hier schreibt, zeigt doch ganz klar, wie vorsichtig wir sein müssen, um Gottes Wort nicht zu „verbiegen“. Lies bitte auch mal den Kontext, in dem diese Aussage Paulus‘ steht.
„Die Regionale Kirchenverwaltung hat dir doch ein Schreiben geschickt. Für mich wird darin sehr wohl auf deine Fragen eingegangen und auf einschlägige Literatur verwiesen. Dort findest du Antworten, die dich zum Nachdenken bringen sollten.“
In meiner Abhandlung habe ich etwa 30 konkrete Fragen gestellt. Diese habe ich alle besonders gekennzeichnet. Bitte nenne mir eine einzige Frage, die durch den Brief der Kirchenverwaltung beantwortet wurde. Außerdem schreibe mir bitte: In welcher der genannten Quellen finde ich auf eine einzige der von mir gestellten Frage „Antworten, die … [mich] zum Nachdenken bringen sollten“?
Durch das intensive Nachforschen habe ich einen Überblick über die Gesamtaussage des Neuen Testaments erhalten, den ich vorher nicht hatte. Ich habe festgestellt, welchen hohen Stellenwert Jesus Christus im Neuen Testament hat, der mir vorher so nicht klar war. Lies nur einen einzigen der Briefe des Apostels Paulus aufmerksam durch, und Du wirst feststellen, wie oft er über Jesus Christus spricht, wie wichtig er für ihn ist. Immer wieder bringt er zum Ausdruck, dass er dem Vater im Himmel nur dann gefallen kann, wenn er nach dessen Willen Jesus verkündet, Jesus als Sklave dient. Er spricht bei weitem mehr und öfter über Jesus Christus als über seinen Vater, hebt aber immer wieder hervor, dass das alles der Ehre des Vaters dient. Lag Paulus falsch??
„Du sagtest doch, dass dein Glaube und dein Vertrauen gestärkt wurden.“
Das stimmt.
„Ich empfehle dir, geduldig auf Gott zu vertrauen. Er lenkt alles. Vielleicht wirst du doch noch Antworten auf deine Fragen erhalten.“
Andreas, ich habe Antworten gefunden – in Gottes Wort. Was will ich mehr? Ich stimme dem zu, was der Apostel Petrus Jesus antwortete: „Da fragte Jesus die Zwölf: »Wollt ihr etwa auch weggehen?« – »Herr, zu wem sollten wir gehen?«, antwortete Simon Petrus. »Du hast Worte, die zum ewigen Leben führen, und wir glauben und haben erkannt, dass du der Heilige bist, den Gott gesandt hat.«“ (Joh 6:67-69).
„Ich gehe davon aus, dass die Kirchenleitung gute Gründe hat, warum sie so reagiert.“
Was könnte es für „gute Gründe“ geben, die Wahrheit nicht herausfinden zu wollen (Joh 4:23, 24; Joh 8:32)?
Unser Vater im Himmel hat alles zur Verfügung gestellt, was wir zum Finden von Antworten brauchen:
„Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen. So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“ (2Tim 3:16, 17).
Unter Berücksichtigung dessen, was die Heilige Schrift sagt, könnte die Kirchenleitung Antworten geben; allerdings hat sie auch die Verpflichtung, sich selbst danach ausrichten (Jak 4:17).
„Was ich immer noch nicht verstanden habe: Vertraust du nun der Kirchenleitung noch oder nicht? Immerhin meinst du, sie würde mit dir nicht vertrauensvoll, ehrlich, aufrichtig umgehen.“
Findest Du allen Ernstes, dass die Kirchenleitung „vertrauensvoll, ehrlich, aufrichtig“ mit mir umgegangen ist? Wenn ja, sag mir bitte, worin das zum Ausdruck gekommen ist.
„Und du erwähnst „versteckte Drohungen“. Das sind schwere Vorwürfe!“
Du hast doch die Antwort der Regionalen Kirchenverwaltung gelesen. Gern zitiere ich daraus, um klar zu machen, was ich meine:
„Daher bitten wir dich inständig, lieber Glaubensbruder, der vom Herrn Jesus Christus eingesetzten Kirchenleitung vollständig zu vertrauen. Ein solches Vertrauen würde sich darin zeigen, bescheiden seine eigenen Nachforschungen nicht über zu bewerten, sondern darauf zu warten, dass zu der von Gott und Jesus Christus vorgesehenen Zeit geistige Anleitung vermittelt wird (Sprüche 11:2; Psalm 43:3, 5).
Als Gemeindeältester trägst du hierbei noch eine besondere Verantwortung – auch anderen in der Kirchengemeinde zu helfen, der Kirchenleitung uneingeschränkt zu vertrauen und sie in ihrer … Vorgehensweise voll und ganz zu unterstützen.“ (Schreiben vom xx.xx.20xx)
Was die Kirchenleitung schreibt, soll ja einen Zweck erfüllen. Welchen? Ich soll der „Kirchenleitung vollständig … vertrauen“. Betrachtet man die geführte Korrespondenz: Worauf soll sich das Vertrauen stützen? Gottes Wort verdient uneingeschränktes Vertrauen. Wie ich in meiner Abhandlung beschrieben habe, gibt es Abweichungen zwischen dem, was praktiziert wird und dem, was Gottes Wort vermittelt. Aber keine unüberwindlichen. Wir nehmen für uns gern in Anspruch, uns ausschließlich nach Gottes Wort auszurichten. Warum tun wir es dann nicht in solchen offensichtlichen Dingen? Und wenn ich falsch liege, warum zeigt mir niemand anhand von Gottes Wort, dass dem so ist?
Dann schreibt die Kirchenverwaltung, dass ich „eigene Nachforschungen … überbewerte“. Die Nachforschungen habe ich zwar selbst angestellt, aber was dabei herauskam, waren doch keine „eigenen“ Ideen. Sie stützen sich auf Gottes Wort. Sollten wir vor Gottes Wort nicht Respekt haben? Oder sind es nicht mehr Gottes inspirierte Gedanken, weil ich sie zusammengestellt habe? Werden sie dadurch zu „eigenen“ Gedanken? Sollten die Ergebnisse von Gottes Wort abweichen, bin ich daran interessiert zu erfahren, worin.
Und dann kommt die Kirchenverwaltung zu ihrer eigentlichen Aussage, die sie mir vermitteln will: Als Gemeindeältester trug ich „hierbei noch eine besondere Verantwortung – auch anderen in der Kirchengemeinde zu helfen, der Kirchenleitung uneingeschränkt zu vertrauen und sie in ihrer Vorgehensweise voll und ganz zu unterstützen.“ Und wenn ich das nicht kann, weil es mein Gewissen nicht zulässt? Was wäre passiert, wenn ich genau diese Frage offen ausgesprochen hätte? Die Antwort liegt auf der Hand. Und das ist für mich eine versteckte Drohung. Natürlich hätte ich so tun können „als ob“. Eine ganze Reihe von Gemeindeältesten tut das. Das muss jeder für sich selbst verantworten; ich bin kein Richter. Aber ich will es nicht.
Wenn man bedenkt, was alles an Argumenten ausgetauscht wurde und welche Rolle Gottes Wort dabei spielt: Auf welcher Grundlage könnte ich „anderen in der Gemeinde … helfen, der Kirchenleitung uneingeschränkt zu vertrauen“? Ich kann der Kirchenleitung in vielem vertrauen; aber wenn Widersprüche zu Gottes Wort bestehen, hab ich ein Problem. Und das habe ich inzwischen gelöst. Am xx.xx.20xx habe ich mein Amt als von der Kirchenleitung eingesetzter Gemeindeältester niedergelegt. Somit kann ich mit einem guten Gewissen Gott und seinem Christus weiter dienen; und auch meinen Glaubensgeschwistern. Und das werde ich so lange weiter tun wie es mir nicht verwehrt wird.
Wenn Dir vieles von dem, was ich geschrieben habe, vielleicht auch nicht gefällt: Du hast es mit jemandem zu tun, der mit offenen Karten spielt, für den Gott, der Allmächtige, und sein Sohn, Jesus Christus, sowie die Bibel den höchsten Stellenwert haben und der somit berechenbar ist. „Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5:29) – mit dieser Aussage der Apostel stimme ich uneingeschränkt überein. Und auf dieser Grundlage kann man sich mit mir auch auseinandersetzen.
Es würde mich freuen, wenn wir auch in Anbetracht dieser Situation weiter Freunde bleiben könnten und dass Du mich jetzt nicht als einen „Feind“ betrachtest (Gal 4:16).
In christlicher Verbundenheit
Dein Freund und Glaubensbruder
Markus
Andreas an Markus:
Hallo Markus,
leider fehlt mir im Moment die Zeit, auf deine Mail einzugehen. Eines möchte ich allerdings gern vorab erfahren:
Wird die Oberste Kirchenleitung nach deiner Überzeugung von Gottes Geist geleitet? Bitte nur mit Ja oder Nein antworten.
Andreas
Markus an Andreas:
Lieber Andreas,
ich verstehe, dass Du Zeit brauchst, um Dich mit den übermittelten Gedanken auseinanderzusetzen. Nimm sie Dir einfach.
Was Deine Ja-Nein-Frage betrifft: Es gibt Fragen, die kann oder sollte man nicht einfach mit einem Wort oder einem kurzen Satz beantworten. Jesus selbst hat manchmal auch so reagiert (Beispiel: Mat 21:23-27).
Direkte Antworten sind nicht immer die beste Option. Ich will versuchen, Dir die Möglichkeit zu geben, eigene, zutreffende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Mein letzter Brief an die Regionale Kirchenverwaltung datiert vom xx.xx.20xx. Den letzten Absatz daraus gebe ich hier wieder:
„Daher bitte ich Euch noch einmal inständig – auch im Hinblick auf „diese kleinen, unbedeutenden Menschen“ (Mat 18:10, 14; GNB[5] zu denen ich mich ebenfalls zähle: Beantwortet mir und unseren Gemeindeältesten doch meine im Schreiben vom xx. xx.20xx aufgeworfene Frage und wenigstens einige der vielen Fragen in meinem Schreiben vom xx.xx.20xx an die Oberste Kirchenleitung. Ich würde mich so freuen, etwas von der Fürsorge zu spüren, die den Hirten Gottes und Jesu immer wieder nahegelegt wird.“
Zu beachten ist, was in der von mir zitierten Bibelstelle steht. Nachstehend zitiere ich die Verse 10 bis 14 vollständig:
„Hütet euch davor, einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen überheblich zu behandeln. Denn ich versichere euch: Ihre Engel haben immer Zugang zu meinem Vater im Himmel!
Was meint ihr: Was wird ein Mann tun, der hundert Schafe hat, und eines davon hat sich verlaufen? Wird er nicht die neunundneunzig allein im Bergland weitergrasen lassen und wird losziehen und das verirrte suchen? Und wenn er es dann findet – ich versichere euch: Er wird sich über das eine Schaf mehr freuen als über die neunundneunzig, die sich nicht verlaufen haben. Genauso ist es mit eurem Vater im Himmel: Er will nicht, dass einer dieser kleinen, unbedeutenden Menschen verloren geht“ (Mat 18:10-14; GNB).
Aus der Sicht der Regionalen Kirchenverwaltung (die im Auftrag der Obersten Kirchenleitung handelt) bin ich in gewisser Hinsicht so ein „Schaf“, das von der Herde abirrt. Allerdings ist der Vergleich nicht ganz stimmig: Im Gleichnis von Jesus „driftet“ ein Schaf ab, ohne sich dessen bewusst zu sein. In meinem Fall ist es so, dass ich („Schaf“) mit meinem Brief vom xx.x.20xx zum wiederholten Mal darum bitte, doch wenigstens „einige der vielen Fragen“ von mir zu beantworten. Dass ich ausdrücklich auf den zitierten Bibeltext hinweise, sollte bewirken, dass den Adressaten klar wird, welche Verantwortung, die Gottes Hirten tragen, ich anspreche. Allerspätestens damals hätten die „Alarmglocken“ läuten müssen: Mit diesem „Schaf“ muss mal gesprochen werden; man muss ihm helfen, wieder zur Herde und auf den geraden Weg zurückzufinden.
Was geschah nach meinem Hilferuf?
Die Regionale Kirchenverwaltung hat nicht mich, sondern den Ältestenrat unserer Gemeinde angeschrieben. Der Ältestenrat wurde gebeten zu veranlassen, dass zwei Gemeindeälteste mit mir sprechen und mitteilen, dass keine weitere Korrespondenz gewünscht ist, da der Sachverhalt bereits ausreichend behandelt worden sei. Das Gespräch mit den beiden Ältesten hat stattgefunden. Sie brachten ihre Enttäuschung über das zum Ausdruck, was sie mir mitteilen sollten.
Soweit meine Darlegung. Jetzt bitte ich Dich, unter Berücksichtigung dessen, was Jesus in Mat 18:10-14 sagte (beachte bitte auch die ernste Ermahnung Jesu in Vers 6), zu überlegen, wie die von Dir gestellte Frage beantwortet werden sollte.
Liebe Grüße im Herrn
Dein Glaubensbruder
Markus
Andreas an Markus:
Hallo Markus,
da ich nur deine Version kenne, kann ich nicht viel dazu sagen. Deine Enttäuschung kann ich zwar nachvollziehen. Aber was willst du für Konsequenzen aus der ganzen Geschichte ziehen?
Es wäre schön, wenn du mit der Obersten Kirchenleitung wieder ins Reine kommst.
Ich will dir ein paar Fragen stellen. Du musst nicht beantworten, wenn du nicht willst:
Könntest du nicht akzeptieren, dass du bereits eine Antwort auf deine Fragen bekommen hast oder das Ganze als Glaubensprüfung sehen??
Hältst du dich für jemanden, der sich der Kirche Gottes unterordnet?
Gibt es deiner Meinung nach eine andere Kirche, durch die Gott handelt?
Willst du auf den eigenen Verstand vertrauen statt auf Gott (Spr. 3:5, 6)?
Nimmst du deine Untersuchungen vielleicht doch zu wichtig? Warte doch einfach ab.
Warst du irgendwelchen negativen Einflüssen ausgesetzt, die deine Sichtweise verzerrt haben?
Hast du dir schon einmal überlegt, was deine Worte bei anderen auslösen können? Durch das, was du sagst und tust, bringst du deine Glaubensbrüder ganz schön in Gewissenskonflikte! Wieso?
Wenn du so argumentierst und Beweise und Bibeltexte ins Feld führst, könntest du sie zu der Meinung verführen, du seist im Recht. Liest man deine Studie und deine Briefe, bleibt einem ja fast nichts anderes übrig, als deine Probleme mit der Obersten Kirchenleitung zu verstehen. Aber überlege doch mal: Als treuer Diener Gottes und Jesu ist es undenkbar, die Oberste Kirchenleitung in Frage zu stellen!
Du sähst Zweifel. Was soll man denn für Konsequenzen aus deinen Erfahrungen ziehen? Was willst du erreichen? Soll man selber auch anfangen zu zweifeln? Willst du, dass deine Glaubensbrüder, statt zu glauben, dem Verstand folgen?
Wie gesagt, du musst mir diese Fragen nicht beantworten. Ich frage mich nur, wie unter solchen Umständen unsere Freundschaft bestehen bleiben kann?
Es gibt Fragen, die man direkt beantworten können muss. Wenn das nicht möglich ist, mangelt es an Vertrauen zueinander. Wie soll eine Freundschaft ohne Vertrauen bestehen bleiben?
Im Vertrauen auf Gott, dass er uns hilft, einander im Denken und Handeln zu verstehen
Dein Glaubensbruder
Andreas
Markus an Andreas:
Lieber Andreas,
danke für Deine Mail. Dazu möchte ich gern ein paar grundsätzliche Dinge sagen.
Aus Deinem langen Fragenkatalog möchte ich nur auf folgende Bezug nehmen:
„Was willst du erreichen? Soll man selber auch anfangen zu zweifeln? Willst du, dass deine Glaubensbrüder, statt zu glauben, dem Verstand folgen?“
Ich erinnere Dich daran, dass nicht ich das Gespräch über meine Studie an die Oberste Kirchenleitung mit Dir gesucht habe, sondern Du mit mir. Das heißt, es war nie mein Ziel, etwas bei Dir zu erreichen. Ich bin lediglich Deiner berechtigten Bitte nachgekommen, mit Dir darüber zu reden. Was sich jetzt daraus entwickelt hat, war nie beabsichtigt.
Der Schriftwechsel mit Dir in den letzten Tagen wirkt auf mich wie ein Kreuzverhör. Das will ich nicht! Jeder von uns wird letzten Endes von unserem Vater im Himmel (Gott dem Allmächtigen) sowie seinem eingeborenen Sohn, dem sein Vater die gesamte Richtergewalt übertragen hat, beurteilt werden (Joh 5:22, 23). Vor diesen beiden werde ich mich und Du Dich und jeder andere sich letzten Endes verantworten müssen (Röm 14:10-12; 2Kor 5:10).
Was unser Verhältnis zueinander betrifft, sind für mich unter anderem nachstehende biblischen Aussagen grundlegend:
„Stellt euch selbst auf die Probe, um zu sehen, ob ihr im Glauben gefestigt seid; prüft, ob ihr bewährt seid“ (2Kor 13:5).
„Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern Helfer zu eurer Freude, denn im Glauben steht ihr ja fest“ (2Kor 1:24; NeÜ).
„Verurteilt niemand, damit auch ihr nicht verurteilt werdet. Denn so, wie ihr über andere urteilt, werdet ihr selbst beurteilt werden, und mit dem Maß, das ihr bei anderen anlegt, werdet ihr selbst gemessen werden“ (Mat 7:1, 2).
„Wenn du ihn verurteilst, ist es, wie wenn du dich zum Richter über jemand machst, der im Dienst eines anderen steht. Wer bist du, dass du dir so etwas anmaßt? Ob jemand mit seinem Tun bestehen kann oder ob er nicht besteht, das zu beurteilen ist einzig und allein Sache seines Herrn, dem er verantwortlich ist. Und er wird bestehen, denn es steht in der Macht des Herrn, ihn zu bewahren“ (Röm 14:4).
„Der geistliche Mensch dagegen beurteilt zwar alles, er selbst jedoch wird von niemand beurteilt“ (1Kor 2:15; rElb[6]).
Dazu ein paar wenige Anmerkungen:
Wir beide überprüfen immer wieder, ob wir in unserem eigenen Glauben gefestigt sind und werden von Gott daran gemessen.
Ich bin nicht Herr über Deinen Glauben und Du nicht über meinen. Es ist also nicht unsere Sache, dem anderen jeweils „auf den Zahn zu fühlen“.
Wir urteilen nicht über einander; als sündige Menschen liegen wir nämlich ganz schnell falsch. Tun wir es doch, werden wir von Gott mit dem gleichen Maß gemessen werden.
Wir alle sind Knechte/Sklaven Christi. Deshalb nehmen wir dem Herrn nicht das Urteil vorweg, sondern überlassen es ihm, dem wir gehören (1Kor 3:23; Tit 2:13, 14).
Ich gehe davon aus, dass wir beide geistliche Menschen sind. Wie Paulus schreibt, steht es uns nicht zu, uns gegenseitig zu beurteilen.
Mehr will ich zu all dem nicht sagen. Wir haben unsere Argumente ausgetauscht und sehen gewisse Dinge unterschiedlich. Das ist nicht schlimm, sondern ist für mich ein Bestandteil der „Freiheit“ der Kinder Gottes (Röm 8:25). Unter Berücksichtigung dieses gegenseitigen Respekts fällt es leicht, Freundschaften aufrecht zu erhalten. Wenn wir uns allerdings gegenseitig anhand einer „Checkliste“ einordnen wollen, kommt etwas zu kurz, was wirkliche Freundschaft ausmacht: Vertrauen und Respekt. Wir sind keine geistigen Kleinkinder, die Mama und Papa nicht loslassen dürfen, weil sie sonst Dummheiten machen. Ich bin nicht Dein „Papa“ und Du nicht der meine …
Ich hoffe, dass meine offenen Worte Dich nicht zurückschrecken lassen. Aber ich bin ein Freund klarer Aussagen und Grenzen. Ich würde mich freuen, wenn Du das akzeptieren könntest und wir ein gutes Verhältnis zueinander auf dieser Grundlage aufrechterhalten können.
Liebe Grüße christlicher Verbundenheit
Dein Glaubensbruder
Markus
Andreas an Markus:
Hallo Markus,
es fällt mir sehr schwer, für weitere Gespräche eine gemeinsame Grundlage zu finden. Du willst nicht von deiner Meinung abrücken.
Für mich steht selbstverständlich Gottes Wort über allem! Wenn es Gottes Willen entspricht, die Kirche durch einige Menschen in der Obersten Kirchenleitung, die auch Fehler machen, anzuleiten, ist das für mich so in Ordnung.
Ich will mich genau nach dem ausrichten, was Gott uns durch seine Kirchenleitung mitteilt. Aus Dankbarkeit! Ich will auf keinen Fall undankbar sein für das, was unsere Kirche mir schon alles vermittelt hat. Und ich sehe deutlich Gottes Heiligen Geist und Segen bei Menschen, die sich der kirchlichen Ordnung unterstellen. Hier fühle ich mich wohl und sicher. Viele Glaubensbrüder und -schwestern denken genauso. Mit ihnen will ich Gott dienen und mit ihnen zusammen Gottes Leitung gehorchen und vertrauen. Du ziehst es vor, eher ein Einzelkämpfer zu sein. Denke an Heb. 13:7, 17.
Ich kann nicht erkennen, dass die Kirchenleitung irgendetwas tut, was nicht in Ordnung ist. Und selbst, wenn sie mal Entscheidungen trifft, die ich nicht verstehen kann, würde ich mir nicht anmaßen, sie zu hinterfragen – als ob ich es besser wüsste!!
Man kann viel mit der Bibel jonglieren, in Büchern und in anderer Literatur forschen und analysieren, aber: Gottes Geist werden wir dadurch niemals erhalten (Mat. 11:25)!
Ein letztes Mal: Denkst du allen Ernstes, dass du Gott gehorchst, wenn du seine Institution ablehnst?
Bitte antworte nicht mehr. Ich möchte diesen Gedankenaustausch hiermit beenden.
Schade, dass es soweit kommen musste
Andreas
Es ist unverkennbar, dass im Glaubensleben von Andreas die Oberste Kirchenleitung eine maßgebliche Rolle spielt. Andreas beteuert zwar, dass Gott und die Bibel für ihn der Maßstab für seinen Glauben sind. („Für mich steht selbstverständlich Gottes Wort über allem!“) Wenn es jedoch Diskrepanzen gibt zwischen der Lehre der Kirchenleitung und der Bibel, ist die Auslegung der Kirchenleitung für ihn maßgebend.
Dabei geht er sogar soweit, dass – selbst wenn die Beweise gegen die Haltung der Kirchenleitung sprechen – es für ihn inakzeptabel ist, diese Beweise gelten zu lassen: „Wenn du so argumentierst und Beweise und Bibeltexte ins Feld führst, könntest du sie [die Glaubensbrüder] zu der Meinung verführen, du seist im Recht. Liest man deine Studie und deine Briefe, bleibt einem ja fast nichts anderes übrig, als deine Probleme mit der Obersten Kirchenleitung zu verstehen.“ Und was dann? Was, wenn die Beweise erdrückend werden? „Als treuer Diener Gottes und Jesu ist es undenkbar, die Oberste Kirchenleitung in Frage zu stellen!“.
Dadurch gerät ein Christ, der auf Gott und die Heilige Schrift vertraut, in ein Dilemma. Wie kann er ein gutes Gewissen bewahren? Ein Versuch ist Verdrängung: „Ich will mich genau nach dem ausrichten, was Gott uns durch seine Kirchenleitung mitteilt. Aus Dankbarkeit! Ich will auf keinen Fall undankbar sein für das, was unsere Kirche mir schon alles vermittelt hat. Und ich sehe deutlich Gottes Heiligen Geist und Segen bei Menschen, die sich der kirchlichen Ordnung unterstellen.“
Andreas macht noch von anderen „Lösungsmöglichkeiten“ Gebrauch. Er ist von der Kirchenleitung geistig stark abhängig. Daher versucht er ferner, das Dilemma dadurch zu lösen, dass ein Weg gefunden wird, die Haltung der Kirchenleitung doch irgendwie durch die Bibel zu stützen. „Die Regionale Kirchenverwaltung hat dir doch ein Schreiben geschickt. Für mich wird darin sehr wohl auf deine Fragen eingegangen und auf einschlägige Literatur verwiesen. Dort findest du Antworten, die dich zum Nachdenken bringen sollten.“ Nachdem Markus ihm zeigt, dass dem nicht so ist, beteuert er dennoch: „Ich kann nicht erkennen, dass die Kirchenleitung irgendetwas tut, was nicht in Ordnung ist.“
Ferner hofft er, dass das Problem dadurch gelöst werden könnte, dass die Kirchenleitung zukünftig ihren Standpunkt zugunsten der Bibel ändert, sollte es wirklich Widersprüche geben: „Allerdings konntest du mit deinem Schreiben die Kirchenleitung möglicherweise dazu anregen, über eine Änderung ihres Standpunkts nachzudenken.“ Vielleicht. Falls nicht, empfiehlt er Markus, sich gegenüber der Kirchenleitung demütig verhalten: „Ich empfehle dir, geduldig auf Gott zu vertrauen. Er lenkt alles. Vielleicht wirst du doch noch Antworten auf deine Fragen erhalten.“
Davon auszugehen, dass die Kirchenleitung in strittigen Punkten vielleicht doch im Recht ist, dass sie ihren Standpunkt zukünftig eventuell modifiziert oder einfach zu verdrängen, was an Fragen aufgeworfen wurde – das scheinen für Andreas die einzigen Wege zu sein, die er akzeptieren könnte, um seinen Respekt vor der Bibel zu bewahren, ohne die Haltung der Obersten Kirchenleitung in Frage zu stellen. Widerspruch zur Kirchenleitung wäre für ihn ein Sakrileg: „Und selbst, wenn sie mal Entscheidungen trifft, die ich nicht verstehen kann, würde ich mir nicht anmaßen, sie zu hinterfragen – als ob ich es besser wüsste!!“ „Denkst du allen Ernstes, dass du Gott gehorchst, wenn du seine Institution ablehnst?“
Ein Einzelfall?
Leider nicht. In vielen Kirchen und Glaubensgemeinschaften besteht ein solches Verhältnis zwischen der geistlichen Leitung und den Gläubigen.
Immer wieder ist zu beobachten, dass von Gläubigen erwartet wird, Tatsachen zu ignorieren zugunsten von Anschauungen, die der Bibel in Wirklichkeit widersprechen. Damit solche Anschauungen akzeptiert werden, wiederholt man sie immer und immer wieder, deklariert sie als unantastbar und behandelt sie wie unverrückbare Dogmen. Das birgt für gläubige Christen eine große Gefahr. „Eine Lüge ist wie ein Schneeball; je länger man ihn wälzt, desto größer wird er“, sagte Martin Luther. Psychologische Studien belegen, dass viele Menschen tatsächlich bereit sind, Anschauungen zu übernehmen, die der Realität widersprechen, wenn der Anpassungsdruck groß genug ist und diese Anschauungen oft genug wiederholt werden.
Wie eingangs erwähnt, spielt die Wahrheit in der christlichen Lehre (der Lehre Jesu Christi) eine grundlegende Rolle. Daher ist es äußerst wichtig für einen Christen, die Wahrheit zu erkennen und zu lernen, sie von der Unwahrheit zu unterscheiden.
Bei der geistlichen Leitung einer christlichen Gemeinde kann es sich um eine größere oder kleinere Institution handeln, um eine Gruppe von Einzelpersonen oder um eine einzige Person. Dabei ist nicht zu bemängeln, dass eine geistliche Leitung an sich vorhanden ist und als solche akzeptiert wird. Auch bei den ersten Christen gab es geistliche Leitung in unterschiedlichster Form: Es gab „die zwölf Apostel“, andere Apostel (wie Paulus, den Apostel für die Nationen), es gab Propheten und Lehrer, Gemeinden wurden durch Diener (diákonoi), Aufseher (epískopoi) und Älteste (presbýteroi), die in Ältestenräten organisiert waren, geistlich angeleitet.
Die Frage ist nur, welche Autorität diese geistlichen Leiter für sich in Anspruch nehmen. In welchem Verhältnis stehen sie zur Heiligen Schrift, zu Christus, dem „Haupt“ der Christengemeinde (Epheser 1,22; Kolosser 1,18) und zu Gott? Ist die „Schrift“ für sie der Maßstab, mittels dessen Dinge gegebenenfalls der Schrift anzupassen sind (2. Timotheus 3:16)? Akzeptieren sie, dass Christen einen Lehrer haben, den Christus, während die anderen – auch die, die die geistliche Leitung innehaben – „alle Brüder“ sind (Matthäus 23,8)? Ist Gott für sie der Herrscher mit der höchsten Autorität, dem sie mehr gehorchen müssen als den Menschen (Apostelgeschichte 5:29)?
Für geistliche Leiter christlicher Gemeinden ist es wichtig, die Aussage des Apostels Paulus gemäß 2. Korinther 1,24 zu beherzigen:
„Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern Helfer zu eurer Freude, denn im Glauben steht ihr ja fest“ (NeÜ).
Wenn der Apostel Paulus (Absender des zweiten Briefes an die Korinther Gemeinde) und sein Mitschreiber Timotheus sich nicht anmaßten, „Herren“ über den Glauben ihrer Brüder in Korinth zu sein, sollte sich auch kein geistlicher Leiter in unserer Zeit das Recht dazu herausnehmen. Wir dürfen nie vergessen, dass jeder einzelne Christ für sich persönlich vor Gott und Jesus Christus Rechenschaft ablegen wird (Römer 14,10; 2. Korinther 5,10). Wie wollten wir vor diesen beiden Richtern von der Schrift abweichende Glaubensvorstellungen und Verhaltensweisen rechtfertigen, die wir möglicherweise vertreten? Würden sie wohl das Argument gelten lassen, andere hätten das doch von uns verlangt? Oder würden sie uns nicht zu Recht vorhalten, wir gehorchten Menschen mehr als Gott?
Das Prinzip, nach dem sich die Apostel gerichtet haben, gilt für einzelne Christen und geistliche Leiter gleichermaßen. Gehorchen wir Gott mehr als den Menschen?
Unabhängigkeit von Gott?
Dem Schriftwechsel zwischen Andreas und Markus ist zu entnehmen, dass die Weigerung, der bestehenden geistlichen Leitung uneingeschränkt zu folgen – selbst wenn es sich um Dinge handelt, die von der Schrift abweichen – schnell mit Unabhängigkeit von Gott und mit einer Ablehnung der von Gott gewollten Leitung gleichgesetzt wird. Trifft das aber zu? Ist es in Wirklichkeit nicht oft genau umgekehrt?
Das Neue Testament ist voll von Mahnungen, sich nicht von der Lehre des Christus zu entfernen. Immer wieder wird die Notwendigkeit betont, sich nach der Wahrheit auszurichten. Da gemäß dem Willen des Vaters die Rettung von Jesus Christus abhängt, sollten die nachstehenden Äußerungen Jesu Christi in Betracht gezogen werden:
„Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht. … Wer sich jedoch in dem, was er tut, nach der Wahrheit richtet, der tritt ans Licht, und es wird offenbar, dass sein Tun in Gott gegründet ist“ (Johannes 3,16.21).
Der Glaube an Jesus ist es, der rettet; und wer sich nach der Wahrheit richtet, beweist, „dass sein Tun in Gott gegründet ist“.
„Ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst aus tun; er tut nur, was er den Vater tun sieht. Was immer der Vater tut, das tut auch der Sohn. Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut. Ja, der Sohn wird noch viel größere Dinge tun, weil der Vater sie ihm zeigt – Dinge, über die ihr staunen werdet. … Dem Sohn ist nämlich auch das Gericht übertragen. Der Vater selbst richtet niemand; er hat das Gericht ganz dem Sohn übergeben, damit alle den Sohn ebenso ehren wie den Vater. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht, der den Sohn gesandt hat. Ich versichere euch: Wer auf mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben. Auf ihn kommt keine Verurteilung mehr zu; er hat den Schritt vom Tod ins Leben getan. … Von mir selbst aus kann ich nichts tun. Auch dann, wenn ich urteile, höre ich auf den Vater. Und mein Urteil ist gerecht, weil es mir nicht um meinen eigenen Willen geht, sondern um den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Johannes 5,19-24.30).
Jesus lehrt und handelt mit der Vollmacht seines Vaters. Deshalb verlangt der Vater, dass sein Sohn entsprechend gewürdigt (geehrt) wird. Mangelndes Ehren des Sohnes betrachtet der Vater als einen Mangel an Ehre ihm selbst gegenüber. Aufgrund der Vollmacht seines Vaters ist alles, was der Sohn lehrt und urteilt, bindend und daher zu beachten.
„Statt euch nur um die vergängliche Nahrung zu kümmern, bemüht euch um die Nahrung, die Bestand hat und das ewige Leben bringt. Diese Nahrung wird euch der Menschensohn geben, denn ihn hat Gott, der Vater, als seinen Bevollmächtigten bestätigt. Da fragten sie ihn: „Was für Dinge müssen wir denn tun, um Gottes Willen zu erfüllen?“ Jesus antwortete: „Gottes Wille wird dadurch erfüllt, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“. … Niemand kann von sich selbst aus zu mir kommen. Der Vater, der mich gesandt hat, muss ihn zu mir ziehen. Und wer zu mir kommt, den werde ich an jenem letzten Tag auferwecken“ (Johannes 6,27-29.44).
Die geistige Speise, die „das ewige Leben bringt“, stammt gemäß der Vollmacht des Vaters ausschließlich von Jesus Christus. „Um Gottes Willen zu erfüllen“ ist es notwendig, sich vom Vater zu seinem Sohn ziehen zu lassen und an den Sohn zu glauben.
Auch in seinem sogenannten hohepriesterlichen Gebet (Johannes Kapitel 17) kommt Jesus Christus auf dieses Thema zu sprechen:
„Sie [seine Jünger] wissen jetzt, dass alles, was du mir gegeben hast, tatsächlich von dir kommt. Denn was du mir gesagt hast, habe ich ihnen mitgeteilt, und sie haben es angenommen und haben erkannt, dass ich wirklich von dir gekommen bin … Ich habe ihnen dein Wort weitergegeben … Mach sie durch die Wahrheit zu Menschen, die dir geweiht sind. Dein Wort ist die Wahrheit. … Und für sie weihe ich mich dir, damit auch sie durch die Wahrheit dir geweiht sind“ (Johannes 17,7.8.14.17.19).
Jesus Christus betont, dass alles, was er lehrt, von seinem Vater stammt. Das „Wort“, das er gemäß Vers 17 als „Wahrheit“ deklariert, ist das Wort, das Jesus von seinem Vater erhalten und an die Jünger weitergegeben hat.
Gottes „Generalbevollmächtigter“
Was ergibt sich aus alldem? Gott, der Allmächtige, hat seinen Sohn ein für alle Mal als Generalbevollmächtigten und als alleinigen Vermittler zwischen Gott und sündigen Menschen eingesetzt (1. Timotheus 2,5). Seitdem handelt der Vater nicht mehr direkt mit uns Menschen, sondern er hat seinem Sohn sozusagen alle „Geschäfte“ übertragen. Und nicht nur das. Da Jesus der alleinige Vermittler zwischen Gott und Menschen ist, hat auch kein Mensch das Recht, sich als „Zusatzvermittler“ dazwischen zu drängen. Das bedeutet, dass es auch keinen menschlichen geistlichen Leiter gibt, der diese Vermittlerrolle Jesu Christi relativieren darf.
Geistliche Leiter haben die Verantwortung, Jesu Schafe liebevoll und treu anzuleiten. Mehr jedoch nicht. Das bedeutet, dass sich diese dem Christus untergeordneten Hirten zum einen selbst an die Gebote Jesu halten müssen (1. Johannes 2,3); sie dürfen Jesu Gebote nicht „modifizieren“; sie müssen die „Schafe“ dem „guten Hirten“ zuführen (Johannes Kapitel 10). Zum anderen müssen sie beachten, dass alle „Schafe“ dem guten Hirten gehören und sie selbst lediglich ihm verantwortliche Unterhirten sind (1. Petrus 5,1-3). Die „Schafe“ sind ebenfalls dem guten Hirten gegenüber verantwortlich, nicht den geistlichen Leitern. Diese sollten die Schafe zwar anleiten, gegebenenfalls Korrekturen in ihrem Verständnis des Evangeliums oder in ihrem Wandel vorzunehmen, damit sie dem guten Hirten gefallen und ihm dadurch besser folgen können. Aber die „Schafe“ tragen letzten Endes eine eigene Verantwortung gegenüber dem guten Hirten. („Der Vater selbst richtet niemand; er hat das Gericht ganz dem Sohn übergeben“; Johannes 5,22.)
Was also ist unter „Unabhängigkeit von Gott“ zu verstehen?
Unabhängig von Gott ist jeder, der Gottes Gebote ignoriert oder nach eigenem Gutdünken abändert. Gott erwartet, dass Menschen anerkennen, dass er seinen Sohn gewissermaßen als „Generalbevollmächtigten“ eingesetzt hat. Er erwartet, dass jemand, der gerettet werden möchte, seine Anordnung respektiert: „Dies ist mein Sohn, mein Auserwählter; auf ihn sollt ihr hören“ (Lukas 9,35)! Daran hat sich bis heute nichts geändert: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und immerdar“, lesen wir in Hebräer 13,8.
Es ist also das Verhalten Gott und seinem Sohn gegenüber, das „Unabhängigkeit von Gott“ darstellen kann. Wer sich geistlichen Leitern widersetzt, weil sie auf nicht biblischen Verfahrensweisen oder Lehren beharren, beweist dagegen, dass er Gott mehr gehorcht als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29). Wie aufgezeigt wurde, kann ein Christ seinen Gehorsam gegenüber Gott insbesondere dadurch unter Beweis stellen, dass er sich durch nichts und niemanden davon abhalten lässt, auf die Stimme des guten Hirten zu hören (Johannes 10,27.28). Wer die große Bedeutung herabsetzt, die Jesu Vater ihm beimisst, wer ignoriert, dass Jesu Vater ihm sozusagen alle „Amtsgeschäfte“ übertragen hat, steht in der Gefahr, sich als jemand zu erweisen, über den Jesus sagte: „Einem Fremden werden sie [Jesu Schafe] nicht folgen; sie laufen vor ihm davon, weil sie seine Stimme nicht kennen“ (Johannes 10,5).
Wer sich auf Dauer nicht in der Weise zu Jesus bekennt, wie sein Vater es wünscht, muss letzten Endes vor dem höchsten Richter die Konsequenzen tragen:
„Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen“ (Matthäus 10,32).
Deshalb ist es gut, wenn wir entschlossen sind, konsequent den Standpunkt der Apostel einzunehmen:
„Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen“
Apostelgeschichte 5,29
Fußnoten:
[1]Neue Genfer Übersetzung (NGÜ). Wenn nicht anders vermerkt, sind Bibelzitate der NGÜ entnommen
[2] Vergleiche den Artikel „Wohin soll das führen?“, in dem unter anderem auf die Fälle Thomas Emlyn und William Whiston verwiesen wird (https://proskyneo.org/2014/09/wohin-soll-das-fuehren/#hus_u_a).
[3] Ein Fall mit vergleichbar „sanftem“ Ausgang ist der des Theologen Hans Küng, der in einigen Lehrpunkten zwar biblisch argumentierte, dadurch jedoch gravierend abwich „von der katholischen Lehre …, was einen Verbleib im theologischen Lehramt unmöglich machte“. Küng wurde ab 1980 „ein fakultätsunabhängiger Professor für Ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für ökumenische Forschung der Universität Tübingen“. Somit traf der Entzug der Erlaubnis, katholische Theologie zu lehren, sein Leben zumindest nicht existentiell. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_K%C3%BCng#Entzug_der_Lehrerlaubnis/.)
[4]Neue evangelistische Übersetzung (NeÜ)
[5]Gute Nachricht Bibel (GNB)
[6] Revidierte Elberfelder Übersetzung 1985-2008 (rElb)
(Download als PDF)
Ich weiß nicht wie eng die Freundschaft zwischen Markus und Andreas war. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es für Markus schmerzhaft gewesen sein muss, dass Andreas seinen Standpunkt nicht akzeptieren konnte. Auf der anderen Seite, wenn man durch solch eine Situation herausfindet, dass ein vermeintlicher Freund doch kein Freund ist, hat es auch etwas befreiendes. Paulus schreibt an Christen in Thessalonich (2.Thess.1:5) das wenn man Bedrängnisse erduldet, man gewiss sein darf, dass man des Reiches Gottes für würdig erachtet wird. Ich hoffe, dass Markus das genauso sieht und Trost in dieser göttlichen Zusage findet.
Lieber Gerardino,
da ich mit den Vorkommnissen vertraut bin, kann ich Dir bestätigen, dass Markus es genauso sieht wie Du. Für ihn ist ein gutes Verhältnis zum Vater im Himmel und zu seinem Sohn wichtiger als menschliche Bindungen.
Gruß
Volker